Shotokan

Entwicklung des Shotokan-Karate 

Viele Mythen bringen die Entwicklung der Kampfkünste immer wieder mit dem indischen Buddhist Bodhidharma (japanisch: Daruma) und dem Shaolin-Kloster (japanisch: Shaolin-ji) in Verbindung. Bodhidharmas Existenz selber und inwieweit er tatsächlich zur Entwicklung der Kampfkünste beigetragen hat, sind jedoch umstritten. Nach der Legende erreichte er im 5. Jahrhundert auf seiner Reise von Indien nach China den Shaolin-Tempel. Neben dem Zen-Buddhismus unterrichtete er die Mönche aber auch in verschiedenen Übungen, die Körper und Geist stärken sollten. Diese Übungen beinhalteten sowohl Yoga-Atemtechniken als auch die im damaligen China übliche Form des unbewaffneten Kampfes namens Kempo. Von hier aus verbreiteten sich diese Techniken im Laufe der Zeit durch das ganze Land. Je nach Region entwickelten sich bestimmte Teile besonders heraus. Was die Entwicklung des Karate angeht, kann man jedoch erst mit seinem Erscheinen auf Okinawa eine nachweisbare Linie verfolgen.

Okinawa ist die Hauptinsel der Ryûkyû-Inselkette, welche sich von Japan bis nach Taiwan erstreckt. Aufgrund seiner Lage, wurde Okinawa schon früh zu einem wichtigen Punkt, was den Austausch sowohl von materiellen als auch ideellen Gütern in Südostasien betrifft. So gelangte das weiche, geschmeidige Kempo schließlich von China nach Okinawa, wo es auf das harte, ungeschliffene "Te" (Hand) traf. Dieses hatte sich unter der okinawischen Bevölkerung aufgrund von immer wieder verhängten Waffenverboten im Geheimen entwickelt. Das "Te" entwickelte sich über die Jahre weiter, besonders in den drei Städten Naha, Shuri und Tomari, die jedoch nur wenige Kilometer entfernt voneinander lagen.

Obwohl sich die Stile nur in gewissen Nuancen voneinander unterschieden, kam es je nach Stadt zur Bezeichnung als Naha-te, Shurite und Tomari-te. Zusammengenommen nannte man sie Okinawa-te oder auch Tode (Chinesische Hand). Schließlich bildeten sich zwei Formen heraus: das Shorin-Ryû, welches sich um Shuri und Tomari entwickelte, und das Shorei-Ryû um Naha. Während das Shorin-Ryû schnell mit natürlicher Atmung ausgeführt wurde, betonte das Shorei-Ryû feste und Bodenkontakt haltende Bewegungen, wobei die Atmung auf die Bewegung abgestimmt wurde.

Anders als in Japan wurden Kampfkünste auf Okinawa aufgrund der dortigen Gegebenheiten weniger mit einer Philosophie in Verbindung gebracht, sondern als reine Kampfform betrieben. Das änderte sich mit Sensei Gichin Funakoshi. Meister vor ihm hatten das Tode in kara te umbenannt, da das Zeichen für China (T'ang-Dynastie) sowohl als Tô als auch als "kara" ausgesprochen werden konnte. Funakoshi schließlich änderte die Bedeutung dann in Karate-dô um, wobei "kara" diesmal mit dem Zeichen mit der Bedeutung "leer" geschrieben wurde. Funakoshi sah dabei jedoch nicht nur die Verbindung waffenlos = leere Hand, sondern auch den Einfluss des Zen-Buddhismus. Danach gilt es, seinen Geist von allem zu reinigen; das Bewusstsein, das alles bewerten, erklären und ergründen muß, auszuschalten, so daß nur noch instinktive Reaktionen vorhanden sind, und so ein Zustand der Leere erreicht werden kann. Dô deutet an, dass es sich hierbei um einen Weg handelt, den man gehen muss. Es verdeutlicht die Philosophie, die dahintersteht: das Eigentliche, worum es geht, ist nicht das Ziel, sondern der Weg dahin.

"Wie die polierte Oberfläche eines Spiegels alles widerspiegelt, was davor steht und ein ruhiges Tal auch leise Töne widerhallt, so soll der Karateschüler sein Bewusstsein von Egoismus und Bosheit entleeren, damit er auf alles, was ihm begegnet, richtig reagieren kann. Das ist die Bedeutung von Kara oder leer in Karate."

Gichin Funakoshi